Der Name unseres Ortes lautet Fajãzinha, was nicht anderes bedeutet als „Fajã-chen“ oder „kleine Fajã“. Da ist es doch verständlich, dass wir zum Vergleich auch mal den Nachbarort Fajã Grande kennenlernen wollten. Zu unserem Glück startet direkt vor unserer Haustür ein weiterer Wanderweg, der von der kleinen Fajã auf die große Fajã führt.
Der Weg führt in Richtung Meer an dem Restaurant unserer Vermieter vorbei bis zum Ufer des Ribeira Grande. Dort hatte vor einiger Zeit anscheinend ein Erdrutsch die alte Brücke zerstört, so dass wir auf die Behelfsbrücke ausweichen mussten. Unter uns rauschte ein etwas breiterer Bach, der von den Wasserfällen auf unserer Fajã gespeist wurde.
Glücklicherweise hat der Erdrutsch nur die Brücke zerlegt und nicht die Spuren des Wanderweges verwischt. Der Aufstieg zum Rand der Fajã war kurz aber steil. Von oben hatten wir einen tollen Blick über das Tal und das Dörfchen mit gerade mal 130 Einwohnern. das zum Meer offene Tal, die Wasserfälle auf der einen und der Atlantik auf der anderen Seite sind ein toller Anblick.
Der Weg verlief weiter ziemlich direkt an der Abbruchkante der Steilwand, so daß wir einen schönen Blick auf das Meer hatten. An einer Stelle mussten wir auf das benachbarte Feld ausweichen, da ein Teil des Weges von einen Abbruch der Steilwand mitgenommen worden war. Aber keine 50 Meter weiter führte uns unser kleiner Umweg wieder direkt auf den Wanderweg zurück.
Hier hatten wir wieder die Wetterkombination die für uns einen Teil der Faszination der Azoren ausmacht: warme Sonne gepaart mit einem kühlenden Seewind.
Durch einen kleinen Wald ging es dann langsam bergab in Richtung Fajã Grande. Dort angekommen passierten wir ein Hinweisschild, das darauf verwies, dass der Wanderweg vorübergehend geschlossen sei. Naja, sehr pfiffig ein solches Schild nur an einer Seite des Weges aufzustellen. Aber da der Weg alles andere als gefährlich war, beschlossen wir später auch den gleichen Weg zurück zu nehmen.
Fajã Grande hat nicht mehr wirklich die dörfliche Struktur wie „unsere“ Fajãzinha. Es gibt deutlich mehr Häuser, die einen kleinen Ortskern bilden. Sehr schnell kommen dann aber Bauten, die eindeutig als Ferienhäuser zu erkennen sind. Schlichte Gärten, zugezogene Gardinen und kein Anzeichen von Leben. Auf mich machte dieser Bereich von Fajã Grande einen langweiligen Eindruck.
Unser Weg führte uns wieder an die Küste und zu einer kleinen Badestelle. Hier hatte man sogar ein kleines Sprungbrett in die Lavafelsen betoniert, um sich noch besser in das kristallklare Wasser stürzen zu können. Es war unter der Woche und noch ist keine Hochsaison. Aus den beiden Gründen war niemand zu sehen. Nur die Jazzmusik einer gegenüberliegenden Standbar dudelte mehr oder minder laut vor sich hin und versuchte eine „chillige“ Atmosphäre zu verbreiten.
Benjamin hatte sich extra eine Badehose für diese Wanderung eingepackt. Die Badestelle im Atlantik war aber nicht der Grund hierfür. Unser nächster planmäßiger Stopp war der Poço do Bacalhau.
Der Poço do Bacalhau, der übersetzt eigentlich ein Stockfischbecken ist, ist ein 90 Meter hoher Wasserfall, der in einen kleinen Badesee fällt.
Besonders beeindruckend war es für mich zu sehen, wie sich der Wasserfall nach ca. 2/3 durch den Wind in einer Gischtwolke auflöste, sich darunter aber trotzdem wieder sammelte und in den Badesee stürzte.
Ich genieße den Anblick lieber trockenen Fußes, Benjamin müsste man aber irgendwo anbinden, damit er nicht sofort in einen solchen See springt. Nachdem wir die stürzenden Fluten ausgiebig visuell genossen hatten, war es Zeit für Benjamin, sich in die Fluten zu stürzen. Der Einstieg über die glitschigen Felsen war nicht ganz einfach, aber nach kurzer Zeit machte er kräftige Schwimmzüge in Richtung des Wasserfalls.
Für einige Zeit waren wir alleine am Wasserfall, dann trudelten immer mehr Touristen ein. Die besondere Stimmung des Ortes war damit verschwunden, aber wir waren froh, sie noch gespürt zu haben. Noch eine Weile haben wir dem Trubel zugeschaut, dann aber unsere Sachen gepackt und sind in den zweiten Teil der Wanderung eingestiegen.
In einem großen Rundkurs ging es jetzt um den Ort Fajã Grande herum. Immer auf alten Karrenwegen zwischen zum Teil schulterhohen Mauern aus gestapelten Vulkangestein, die ohne Mörtel felsenfest standen. Felder und Wiesen wurden auf diese Weise eingefasst und das angebaute Gemüse so vor dem Seewind geschützt.
Ich war gerade damit beschäftigt auf dem GPS-Gerät zu prüfen, ob wir noch auf dem richtigen Weg waren, als Benjamin meinte, da läge eine Kuh auf dem Weg. Tatsächlich hatte es sich ein ziemlich kräftiger Bulle direkt vor uns auf dem Wanderweg gemütlich gemacht. Er war so groß und der Weg so schmal, dass ein Vorbeikommen links oder rechts von ihm nicht möglich war. Ein Darüberhinwegsteigen hätte wahrscheinlich zu einem unfreiwilligem Rodeo geführt.
Wir haben kurz diskutiert, ob wir den ganzen Weg jetzt wieder zurücklaufen müssten oder ob wir das Tier überzeugen konnten, für uns den Weg freizumachen. Wir haben es mit der letzteren Alternative versucht, denn falls er auf uns losgehen würde, würden wir ohnehin den Weg ins Dorf zurückrennen.
Also haben wir sanft auf den Bullen eingeredet und sind langsam immer näher an ihn herangegangen. Immer auf der Hut, bei jedem Anzeichen von Aggressivität Reißaus zu nehmen. Aber es war ein sehr gemütlicher Bulle, der so gar keine Lust auf Stress hatte. Er schaute uns zu, wie wir immer näher kamen, stand langsam auf, kackte uns einen dicken Kuhfladen vor die Füße und trottete dann vor uns den Weg entlang.
Nach gut 100 Metern bot sich auf dem schmalen Weg die erste Gelegenheit für ihn, in einem Gebüsch „rechts ran zu fahren“. Er verschwand hinter den Blättern und wir nutzten die Gelegenheit zu überholen. Kaum waren wir vorbei, kam er auch schon wieder aus seinem Versteck und trotte langsam zu seinem ursprünglichen Liegeplatz zurück.
Der weitere Weg war dann weniger aufregend und führte uns durch alte Felder, die durch ihre Mauern noch gut zu erkennen waren, über die aber in der Zwischenzeit ein dichter Wald gewachsen war. Im Anschluß an den Wald kamen wir in ein kleines Feriendorf, das ganz im Stil der alten Häuser als Lavablöcken gebaut war. Es hatte etwas den Charme, den ich mir bei einem Clubhotel vorstelle. Irgendwie hübsch, aber auch sehr künstlich, denn jede Milchkanne und jedes alte Wagenrad wirkte wie von Dekorateuren platziert.
Der Abstieg in das Tal von Fajãzinha war dann nicht mehr schwierig, da wir die Stellen mit den Erdrutschen ja schon kannten. Nach guten 16 Kilometern mit einigen An- und Abstiegen waren wir am Abend doch relativ geschafft.
Wenn ich beide Fajãs miteinander vergleiche, so hat Fajã Grande mit dem Wasserfall ein echtes Juwel, aber Fajãzinha wirkt viel ursprünglicher und charmanter. Uns ist Fajãzinha lieber!
Hinterlasse einen Kommentar