Einen heftigen Ab- und Aufstieg hatten wir uns für diesen Tag vorgenommen. Es sollte vom Örtchen Lajes auf die Fajã de Lopo Vaz gehen. Wer schon bei den Reiseberichten von der Insel São Jorge dabei war, mag sich an Fajãs erinnern. Dies sind kleine, durch Erdrutsche entstandene Halbinseln bzw. Landflächen zwischen Ozean und Steilwand. Meist sehr idyllisch, aber immer schwer zu erreichen.
Der Morgen begann in Fajãzinha neblig feucht. Über Nacht hatte sich wieder eine Wolke in dem kleinen, zum Meer offenen Tal verfangen, die nun dabei war, langsam abzuregnen. Einladend sah es nicht wirklich aus. Wir nahmen daher zum ersten Mal unsere leichten Jacken mit, um gegen einen kalten, feuchten Wind gewappnet zu sein.
Am Leuchtturm von Lajes haben wir unsere Mietwagen stehenlassen und machten uns als allererstes auf die Suche nach einem Supermarkt. Die Azoren hatten uns wettertechnisch mal wieder einen Streich gespielt. Beim Start im Regenwetter hatte keiner von uns beiden daran gedacht, sich mit Sonnenschutz einzucremen. Nachdem wir aus dem Tal von Fajãzinha raus waren, strahlte die Sonne und da war Schutz, auch nach über einer Woche, dringend angesagt.
Der erste Supermarkt hatte zwar eine recht große Drogerieecke, aber von Nivea Sun & Co. war nichts zu sehen. Also sind wir zu Nummer zwei gestiefelt, die damit warb, schon seit 1938 im Geschäft zu sein. Das schafft Vertrauen! Und sie hatten Sonnenschutz, zwar nicht als Creme sondern nur als Spray. Das war wohl eine solche Neuerung, dass hierfür 13,30 € aufgerufen wurden. Naja, keinen Sonnenbrand zu bekommen war es mir dann wert.
Nun konnten wir gut geschützt zu unserer eigentlichen Wanderung aufbrechen. Zum Glück lagen beide Supermärkte fast auf unserem Weg, so daß wir gar nicht weit vom Kurs abgekommen waren. Wieder verließen wir den Ort, um uns entlang von kleinen Feldwegen in Richtung unseres Ziels zu bewegen. Bis zum eigentlichen Abstieg zur Fajã konnte man auch bequem mit dem Auto fahren, aber der Weg durch die Felder war definitiv schöner!
Benjamin sprach aus, was mir beim Anblick des Steilhangs durch den Kopf ging: „Wollen wir da wirklich runter?“ Etwa 250 Meter unter uns brandetet der Atlantik an die Küste von Flores. Der Steilhang machte seinem Namen alle Ehre und als Tüpfelchen auf dem i stand direkt neben dem Einstieg in den Abstieg mahnend ein großes steinernes Kreuz. Na, das macht Mut…
Bei Abstiegen dieser Art denke ich bei jedem abfallenden Abschnitt, dass ich hier in einigen Stunden wieder rauf muss. Die wenigen Wanderer die uns entgegenkamen sahen aus, als stünden sie kurz vor der Einweisung ins Sauerstoffzelt – hochrote Köpfe, Sturzbäche von Schweiß und hecheln ohne Ende.
Ein Abstieg ist für mich nach einiger Zeit fast genauso belastend wie ein Aufstieg. Es werden zwar andere Muskeln beansprucht, aber insbesondere die Knie spüren das Auffangen des Körpergewichts nach einiger Zeit schon. Da ich meist eine Kamera oder ein GPS-Gerät oder beides in den Händen halte, bräuchte ich noch einen Satz Arme, um mit Wanderstöcken beim Abstieg zu unterstützen.
Der Weg war zum Teil zur Seeseite hin mit einem Geländer versehen, dass sehr flexibel mitschwang und eher dekorativen Charakter hatte. Auf der Hangseite floß immer mal wieder Wasser in kleinen Wasserfällen herunter, so dass wir uns dort später beim Aufstieg abkühlen konnten.
Nach einiger Zeit erreichten wir eine Ansammlung von Madonnenstatuen, die für einen heilen Wiederaufstieg sorgen sollten. Es hatten Wanderer sogar kleine Opfergaben (Blumen und Bananen) neben die Statuen gelegt. Wem das Kreuz am Anfang schon nicht gereicht hatte, der wäre jetzt vielleicht soweit umzudrehen.
Bis zum Strand der Fajã war es nicht mehr so weit und der Abstieg verlief unproblematisch. Hier hatten viele Wanderer Steinmännchen aus den in der Brandung rundgeschliffenen Steinen gebaut. Auf der Fajã stehen vereinzelt ein paar Häuschen, mit viel Ackerland dazwischen. Dieser fruchtbare Boden brachte die Menschen überhaupt erst auf die Idee, den mühsamen Weg in Kauf zu nehmen und hier unten Landwirtschaft zu betreiben.
Auf der Fajã war es unglaublich ruhig. Kein Strassenlärm, kein Hundegebell, außer Meeresrauschen und Vogelgesang war nichts zu hören. Wir sind einmal quer durch die Siedlung bis zum anderen Ende gelaufen, haben alte Steinmauern überklettert und konnten den zweiten Strand der Fajã bestaunen, auf den sich ein kleiner Wasserfall ergoss.
Da die kleine Landzunge durch seine Lage ein fast tropisches Klima hat, lassen sich hier Obst-/Gemüsesorten anbauen, die sonst nur auf den südlicheren Azoreninseln anzutreffen sind. Feigen, Ananas, Bananen, Orangen und Kaffee sollen hier wachsen. Hiervon können wir nur Feigen, Bananen und Ananas bestätigen. Aber das tropische Klima ist auf alle Fälle vorhanden!
Vor dem Aufstieg haben wir einen Großteil der Wasservorräte getrunken, Benjamin hat ein paar Kekse gegessen und dann haben wir uns langsam aber sicher an den Aufstieg gewagt. Das Gemeine an diesem Aufstieg ist, dass sich sehr steile Passagen mit fast horizontalten Strecken abwechseln. Wäre alles gleichmäßig angestiegen, wäre es nicht so schlimm gewesen. Wir kamen gut ins Schwitzen und entwickelten Verständnis für die rote Köpfe die uns zuvor entgegenkamen.
Als wir endlich wieder oben angekommen waren, mussten auch wir erst einmal verschnaufen und konnten unseren Weg nach Lajes zu unserem Mietwagen erst nach 15 Minuten Rast antreten.
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